Erinnert ihr euch noch? Ende Mai postet Influenzer Rezo ein Video auf Youtube, in dem er unter dem Titel „Die Zerstörung der Presse“ ebendieser eine harte Rückmeldung gibt. So groß wie der Aufruhr darauf zunächst war (die einen bescheinigen ihm „tadellose“ Recherchen, wie der Spiegel. Die anderen echauffieren sich über seine „Selbstgefälligkeit“, etwa die Bild-Zeitung), so schnell war das Thema wieder vom Tisch. Dabei ist es fatal, Rezos Video nicht nachhaltig Bedeutung beizumessen.

Mit unserem fachlichen Hintergrund ist es für uns Journalist*innen ganz einfach, Rezo so einiges anzukreiden: die haltlosen Analysemethoden etwa, seine unsachliche Rhetorik und, ja, vielleicht auch sein exklusiver sprachlicher Stil – um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Bei diesem wortgenauen Sezieren seiner Aussagen bleibt das Essenzielle unerwähnt: Die Frage, warum ein Youtuber – ohne journalistische Ausbildung – seinen Followern, und damit jungen Leuten bis maximal 30 Jahren, nach bestem Wissen die Grundlagen journalistischen Arbeitens aufzeigt. Wäre das nicht eigentlich unser Job gewesen? Wieso überlassen wir anderen das digitale Feld – schon wieder?

Weil die Antwort die einen so schmerzt, wie sie die anderen versuchen, als alternativlos abzutun: Zeitungen, besonders lokale, winden sich um ernstzunehmenden Onlinejournalismus – und das auch noch 2020. Noch immer halten Chefredakteur*innen stattdessen das klapprige Gerippe der altgedienten Printzeitung hoch, während sie in ihrer Hosentasche lange schon ihr Smartphone mit sich tragen. Journalismus, besonders Lokaljournalismus, steht demnach für: Unvermögen dem Zeitgeist ins Auge zu blicken, Desinteresse an beruflichen Innovationen, lähmende Trägheit, wenn es darum geht, die Branche stark und zukunftsfähig zu halten sowie als indiskutabel relevant zu positionieren.

Auch 2020 reden wir noch von den sinkenden Zahlen der Abonnements, die uns vermeintlich daran hindern, in starke, zeitgemäße und zügig umsetzbare Onlinestrategien zu investieren. Wir nutzen unsere Kreativität vielmehr dafür, branchenintern ziellose Scheindiskussionen darüber zu führen, warum wir auch in Zukunft noch guten Journalismus brauchen und wieso das Internet uns das Leben so schwermacht – statt unsere Fähigkeiten dafür zu nutzen, neue onlinegerechte Erzählformen zu entwickeln. Wir gieren nach Rezos Zielgruppe, wir lecken uns die Finger nach den Millennials oder zumindest nach Rezipientinnen unter 50, nein, unter 65 Jahren. Und während unsere Auflagen proportional zum Ansehen unserer Branche sinken, bleiben wir Journalistinnen und Journalisten, Chefredakteurinnen und Chefredakteure, Verlagshäuser in 30 Jahre alter Schockstarre vor dem Phänomen Internet sitzen – während wir als Privatpersonen längst digitalisiert sind. Um die harte Zeit zu kompensieren, streichen wir Stellen, besetzen sie durch ungelernte frei Mitarbeiterinnen, die noch nie etwas gehört haben von einem Presserat, von einem Pressekodex. Denn uns fehlt die Zeit, sie zumindest grundlegend einzulernen. Und viel zu oft die Kapazität Artikel zu schreiben, die es wert sind, einer Zeitung treu zu bleiben. Wie sollen freie Mitarbeitende, wie sollen wir Journalist*innen so in der Lage sein, die Grundlagen unseres Arbeitens zu vermitteln, offenzulegen, nach außen zu verteidigen und zu wahren?

Kolleginnen, Kollegen, wir müssen damit aufhören, unsere selbstzugeführten Wunden zu lecken. Der Moment ist da, um kreativ zu werden. Wir müssen damit aufhören, unentwegt nach Hindernissen zu suchen. Der Moment ist da, um Lösungen zu finden. Wir müssen damit aufhören, auf vermeintlich Schuldige zu deuten. Der Moment ist da, um entschlossen tätig zu werden. Tun wir das, was wir als Journalist*innen so gut können wie keine andere Berufsgruppe: Geschichten aufspüren und sie so erzählen, dass sie die, die sie erfahren müssen, auch erreichen!

(Bild: Kon Karampelas/Unsplash)****